Montag, 16. Juni 2025

Die Lösung ist Selbsterforschung

 


Wenn wir an unseren Gedanken festkleben sind wir gefangen. Sie beherrschen uns und unsere Gefühle und wir fühlen uns machtlos.
Sie werden zu Gewohnheiten und wir stecken ewig fest.
Jede Gewohnheit wird zur Gewohnheit durch Wiederholung.
Was ist die Lösung?
Die Lösung ist: Selbsterforschung.
Und wenn wir uns selbsterforscht haben wenden wir Mittel an um unsere Gewohnheiten zu ändern.
Wir verpflichten uns, uns selbst gegenüber, unseren Geist von all dem Müll zu reinigen, der uns nur geschadet hat.
Wir unterlassen, was uns schadet.
Klingt einfach.
Ist es nicht.
 
Alles was uns schadet, tun wir, weil wir damit etwas für uns erreichen wollen.
Wir wollen uns entlasten, wir wollen uns betäuben, wir wollen uns besser fühlen, wir wollen fliehen, uns verstecken, nicht fühlen, was wir fühlen könnten, wenn wir all das weglassen, was uns daran hindert zu fühlen, was wirklich ist.
Wir wollen zum Beispiel die Wut nicht fühlen, die seit ewigen Zeiten in uns brodelt und kippen sie anderen über, wir wollen andere wütend machen, um mit unserer Wut nicht allein zu sein, anstatt die Wut in uns selbst zu fühlen und zu entdecken, dass Schmerz dahinter liegt und Ohnmacht und Trauer.
Wie schwach würden wir uns fühlen ohne den Schutzpanzer der Wut. Wie klein und ohnmächtig kämen wir uns vor, ohne die Wuternergie, die sich aufbläst im Inneren um den Kern der Wut zu ersticken. Wie viel Schmerz und Trauer wären da plötzlich.
Und wie damit umgehen?
 
Und so machen wir weiter, gefangenen im Käfig eines unklaren Geistes, der zu einem unklaren Dasein führt, einem Dasein ohne Mitgefühl für uns selbst und ohne Mitgefühl für andere, verbarrikadiert hinter dem Bollwerk all der Gefühle, die nicht fließen dürfen.
Wenn wir uns selbst erforschen und uns unserer Gefühle bewusst werden, wenn wir sie mit Neugier und Mitgefühl betrachten, erkennen wir, mit welchen unheilsamen Gewohnheiten wir uns gegen das wappnen, was wir nicht fühlen wollen, und wir erkennen, wie sehr sie uns das von uns selbst und unseren Nächsten entfernt. Und dann wenden wir Mittel an um das zu ändern. 
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Sonntag, 15. Juni 2025

Zu einem emotionalen Ausbeuter gehört ein emotional Ausbeutbarer

 


 

Emotionale Ausbeuter, kurz beschrieben, sind Menschen, die versuchen mit manipulativen Taktiken die Emotionen anderer zu nutzen, um sie zu ihren eigenen Zwecken zu benutzen.

Das funktioniert aber nicht mit jedem von uns.

Es funktioniert bei denen von uns, die emotional ausbeutbar sind.

Kurz beschrieben sind dies Menschen, die ein geringes Gefühl für ihren eigenen Wert haben und ihre eigenen Bedürfnisse übergehen um geliebt und gebraucht zu werden, wobei sie gebraucht werden oft als Ersatz für Liebe nehmen. Von der unbewussten Angst vor Zurückweisung, Ablehnung und einem starken Bedürfnis nach Harmonie angetrieben, tun sie alles um anderen zu gefallen, um anderen zu helfen, um die Bedürfnisse und Erwartungen anderer zu erfüllen. Gelingt ihnen das, gibt ihnen das ein Gefühl von wertvoll und liebeswert zu sein, was sie in sich selbst nicht spüren können. Die Bestätigung von Außen fungiert wie eine Belohnung und das führt dazu, dass sie immer wieder wiederholt wird und andere Möglichkeiten nicht mehr gesehen werden.

 

Viele dieser emotional Ausbeutbaren sind empathisch, sie haben Mitgefühl, sie geben und helfen gerne, wenn sie sehen, das andere Unterstützung brauchen oder leiden.

Sie geben anderen, was sie selbst so nötig brauchen.

Die Falle ist: Sie sind gefällig, um zu gefallen.

Wenn diese Menschen dann Hilfe brauchen, sind sie oft allein.

Und dann fragen sie sich: Wie kann das sein, ich bin doch immer für andere da?

Was ist mit Karma?

Tja, Karma ist so eine Sache.

Fritz Pearls hat dazu eine Meinung: „Zu erwarten, dass einen die Welt gerecht behandelt, weil man ein guter Mensch ist, kommt dem gleich, zu erwarten, dass ein Stier einen nicht angreift, weil man Vegetarier ist.” Das ist die brutale Wirklichkeit.

 

Also wie kann es sein, dass Karma uns nicht für unsere Bereitschaft zu geben, im Ausgleich belohnt wenn wir auch eine „milde“ Gabe benötigen?

Wie kann es sein, dass es oft genau diese Menschen sind, die emotional leer ausgehen?

 

The more you give, the more they take.

Das ist das mit dem kleinen Finger und der ganzen Hand.

Menschen sind so gestrickt, dass sie nehmen, was sie kriegen können. Besonders dann, wenn sie nichts dafür tun müssen.

Viele habe einen Instinkt dafür, wo sie eine ganze Hand greifen können, nachdem ihnen der kleine Finger gereicht wurde. Und sie schämen sich auch nicht dafür. Wieso auch?, die Hand wird ihnen ja hingestreckt.

 

Wer ständig die Hände öffnet und ständig gibt setzt das Signal: Nimm nur, bediene dich, ich verschenke was du brauchst - for free.

„For free“  kann zur einer Falle der emotionalen Selbstausbeutung werden, denn Menschen gewöhnen sich daran viel zu bekommen ohne etwas zurückzugeben oder danke zu sagen.

 

Zugleich setzt dieses bedingungslose Geben das Signal: Ich bin (mir) nicht wichtig. Ich bin nicht von Bedeutung.

Wer nicht wichtig ist, ist uninteressant für andere. Um es hart auszudrücken: Er ist gänzlich unattraktiv. Worum sich der Mensch nicht bemühen muss, wonach er nicht „jagen“ muss, ist für ihn unattraktiv.

Wer das Signal setzt, nicht wichtig zu sein, den achtet man nicht, den benutzt man, den nutzt man aus für die eigenen Bedürfnisse.

Geht doch! Der braucht ja nichts für sich selbst.

Auch ein Signal, das wir setzen, wenn wir anderen grenzenlos gefällig sind, wenn wir grenzenlos geben und keine Grenzen setzen.

 

Wer keine Grenzen setzt ist grenzenlos.

Für alle Überschreitungen offen.

 

Emotional Ausbeutbare leben in diesem Anpassungsverhalten und je länger es aufrecht erhalten wird, desto mehr verfestigt es sich in den neuronalen Bahnen des Gehirns und wird dann automatisch abgerufen. Zugleich lernt das Gehirn, dass eigene Bedürfnisse nicht wichtig sind und sendet dazu keine Signale mehr. Daher kommt auch der Satz: "Ich spüre mich nicht mehr," den ich in meinen Sitzungen mit emotional ausbeutbaren Menschen höre. Sie nehmen sich selbst nicht wahr. Kein Wunder, wenn sie ständig gegen sich selbst und ihre Bedürfnisse handeln. Manche bis zur totalen Erschöpfung.

Diese Menschen dürfen sich bewusst machen, um sich selbst wieder wichtig zu nehmen und nicht in Co-Abhängigkeit, Selbstaufgabe und Selbstverlust zu enden.  Sie dürfen lernen - sie erreichen mit ihrem bedingungslosen Geben nicht das, was sie sich ersehen, nämlich Wertschätzung, Anerkennung und Liebe. Sie erreichen oft genau das Gegenteil: Man melkt sie wie eine Kuh und wenn die Kuh keine Milch mehr gibt, oder die Milch anderswo besser schmeckt, tauscht man sie aus und lässt sie alleine im Stall stehen.

 

„Nach Lieben ist Helfen das schönste Zeitwort der Welt“, schrieb einst die Aktivistin und Schriftstellerin Bertha von Suttner.

Aus vollen Herzen mein Ja, aber!

Liebe ist wunderbar, Helfen ist wunderbar, aber nicht aus Motiven heraus, die (unbewusst) dazu dienen die Liebe, die wir in uns selbst und für uns selbst nicht empfinden im Außen zu finden.

Helfen ist wunderbar, wenn es nicht der untaugliche Versuch ist durch Helfen, gesehen, gewertschätzt und geliebt zu werden.

Beides haben Menschen, die emotional ausbeutbar sind, tief verinnerlicht.

Es sind erlernte Verhaltensmuster aus der Kindheit, wo es immer darum ging, dass die anderen zuerst kommen, die anderen wichtiger sind, die anderen mehr Rechte haben und man den anderen zu Gefallen sein muss. Daraus wird: Die anderen kommen zuerst, ich komme zuletzt. Viele emotional Ausbeutbare erlebten zudem eine Kindheit, in der es keine bedingungslose Liebe gab, sondern immer ein Sein, Tun und Handeln „UM“  - um gesehen und geliebt zu werden. Gelungen ist es schon damals nicht.

 

Ich war eine emotional Ausbeutbare. Meine Geschichte habe ich aufgeschrieben für alle, die es auch sind und es nicht mehr sein wollen.

 

Hier ist der Link zum Buch: https://buchshop.bod.de/weil-ich-endlich-geliebt-sein-will-angelika-wende-9783769323900


 

 

 

 

 

 

 

Samstag, 14. Juni 2025

Verzweiflung ist der schlimmste Affekt

 


Verzweilfung ist der schlimmste Affekt.Verzweiflung ist ein komplexes emotionales und psychologisches Phänomen, das häufig in Situationen intensiver Belastung, nach einem schweren Verlust oder angesichts auswegloser Umstände auftritt. Psychologisch betrachtet ist Verzweiflung eine Reaktion auf eine wahrgenommene Diskrepanz zwischen den eigenen Erwartungen, Bedürfnissen oder Zielen und der aktuellen Realität, die als unerträglich oder unüberwindbar erlebt wird. Aus neurobiologischer Sicht sind bei der Verzweiflung sogar Veränderungen in den Hirnregionen beteilig. Diese Veränderungen können dazu führen, dass die Person sich hilflos, ausgeliefert und ohne Kontrolle fühlt, was die emotionale Belastung verstärkt. Psychologisch spielt die Verzweiflung eine zentrale Rolle in verschiedenen Theorien der Bewältigung und Resilienz. Sie kann als eine Krise der Sinnfindung betrachtet werden, bei der der Mensch den Glauben an eine positive Zukunft verliert. In solchen Momenten kann die Wahrnehmung der eigenen Hilflosigkeit dominieren, was die Motivation zur Problemlösung erheblich beeinträchtigt.
 
Oft sind Menschen in ihrer Verzweiflung emotional nicht mehr erreichbar. Der Verzweifelte befindet sich in einem tiefen emotionalen Ausnahmezustand. Er zieht sich zurück um mit den intensiven Gefühlen irgendwie umzugehen. Verzweiflung ist eng mit depressiven Zuständen verbunden, da sie oft von Gefühlen der Hoffnungslosigkeit, Wertlosigkeit und innerer Leere begleitet wird. Diese Gefühle können in einem Teufelskreis enden in dem negative Gedankenmuster die emotionale Lage weiter verschlechtern. Wenn ein Mensch vollkommen vereinsamt ist und niemanden hat, kann das die Verzweiflung noch verstärken. 
 
Da ist Angst, da ist Ohnmacht, da ist Hoffnungslosigkeit.
Niemand, der sich seinem Leid zuwendet.
Der Verzweifelte bleibt allein zurück, allein in seinem Schmerz und untröstlich.
Leere.
Der Fall in ein tiefes Loch.
Verzweiflung macht sich breit und breiter. Sie überschattet das Leben.
Nichts macht mehr Freude, nichts hat mehr Bedeutung.
Nur noch Einsamkeit innen.
Eine existenzielle Einsamkeit, die sich eingräbt und bleibt.
Der Verlust von Sinn.
 
Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard wagte um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Behauptung, kein Mensch lebe oder habe gelebt, ohne dass er verzweifelt gewesen sei. Daher sei es keine Seltenheit, dass jemand verzweifelt, sondern - im Gegenteil - das Seltene, ja sogar das sehr Seltene sei, dass jemand nicht verzweifelt ist. Und er behauptete weiter: „Sich nicht bewusst zu sein, dass man verzweifelt ist, heißt noch lange nicht, nicht verzweifelt zu sein.“
In der Sinnkrise wird die Verzweiflung ins Unbewusste verlagert. Die Leere, die gefühlt wird, ist nichts anderes als schiere Verzweiflung am Verlust des Lebenssinns, die Verzweiflung am eigenen Sein, das wirkungslos geworden erstarrt und als nutzlos empfunden wird.
„Zweifeln“ heißt zweifachen Sinnes sein, sich in der Schwebe zwischen zwei oder mehreren Möglichkeiten halten. So mündet zweifelndes Denken im besten Falle aus dem wogenden Meer der Möglichkeiten in den sicheren Hafen. Das Ziel des Denkens geht vom Ungewissen über das Mögliche zum Ziel hin. Wer aber am Leben verzweifelt erlebt den Verlust aller Möglichkeiten und damit den Lebenssinn.
 
Wir alle können den Sinn verlieren, auch ich kenne das. Immer wieder gab und gibt es Momente in meinem Leben in dem die Verzweiflung wie eine riesige Welle über mir zusammenbricht. Momente, in denen sie mich wie ein schwarzer Schatten überfällt. Dann schwimme ich um aus der Tiefe der Welle wieder nach Oben zu kommen. Das erfordert Kraft und führt auch immer zu Kraftlosigkeit, aber es bedeutet: Überleben, trotz und mit der Schwäche, die immer noch ausreicht um einen Sinn zu finden, auch da wo der alte verloren ist.
Sinn suchen und uns Sinn geben, das können nur wir selbst.
Wir finden ihn nicht indem wir Vorgedachtes und Vorgelebtes übernehmen. Den Sinn des Lebens darf jeder selbst für sich suchen und finden, und im Zweifel auch wieder verlieren und wieder neu finden. Der Mensch ist Schöpfer, der sich zu jedem Zeitpunkt seiner Biografie selbst aus der Taufe hebt, wenn er sich dessen bewusst ist. Es ist an uns selbst den Sinn in das eigene Leben hineinzulegen, um ihn dann herauslesen zu können. Das ist Sinngebung und dieser folgt Sinnempfinden. Den Sinn des eigenen Lebens finden, heißt: sich in Zusammenhänge hinein zu denken. Dem eigenen Leben Sinn zu geben heißt: die Zusammenhänge in unserer Biografie erkennen, den roten Faden erforschen, ihn weiter zu spinnen und zwar an unserem eigenen Spinnrad und nicht die Fäden den Händen anderer zu überlassen.
Kierkegaard behauptet nicht, dass der Zweifel notwendigerweise zur Verzweiflung führt. Er behauptet aber, dass der Zweifel sich dann in Verzweiflung ergibt, wenn er an einen Punkt gelangt, an dem er nicht mehr weiter weiß. Solange wir noch zweifeln, verzweifeln wir nicht, dann gibt es noch Alternativen und Möglichkeiten. Erst wenn diese restlos ausgeschöpft sind, macht sich die Verzweiflung breit, dann ist der Mensch erschöpft – es kommt zum Bruch zwischen Ich und Welt.
 
„Ich gehe davon aus, dass es sich bei der Verzweiflung um eine bestimmte phänomenale Ausdrucks-und Erlebnisqualität einer psychischen Befindlichkeit handelt, die den ganzen Menschen in leiblichen, emotionalen, motivationalen und kognitiven Hinsichten erfasst, und die sich von der phänomenalen Qualität anderer Befindlichkeiten unterscheiden lässt. Um auf diese Art und Weise zu erkennen, ob man selbst oder jemand Anderes verzweifelt ist, muss man dann zwar bestimmte phänomenale Qualitäten introspektiv oder am Verhalten des Anderen wahrnehmen, aber man muss nicht wissen, was sich kausal oder funktional, hormonell oder neuronal in Gehirn und Nervensystem dieses Menschen abspielt.“ Schreibt Friedhelm Decher in seiner Monographie "Verzweiflung. Anatomie eines Affektes."
Der Affekt der Verzweiflung stellt sich Decher zufolge dann ein, wenn sich ein Mensch in einer absolut hoffnungs-und ausweglosen Lage befindet, die sich dadurch kennzeichnet, dass er keine Wahl mehr hat, dass ihm jegliche Freiheit der Entscheidung genommen ist. Verzweiflung wäre demzufolge der Verlust von Wahl-und Entscheidungsfreiheit.
Für mich ist Verzweiflung auch der Moment, wo wir das Gefühl haben nicht mehr weiter zu wollen, obwohl es Möglichkeiten gäbe. In der Verzweiflung können wir sie zwar durchaus noch sehen, aber sie nicht mehr ergreifen. Wir sind emotional dazu nicht mehr fähig, warum auch immer. Das ist der Moment in dem wir Hilfe brauchen um mit dieser Hilfe nach Etwas zu suchen, was uns aus dem tiefen Meer der Verzweiflung herauszieht. 
 
"Wessen wir am meisten im Leben bedürfen ist jemand, der uns dazu bringt, das zu tun, wozu wir fähig sind", schreibt Ralph Waldo Emerson.
Ein verzweifelter Mensch braucht ein Gegenüber, das ihn versteht, seine Verzweiflung annehmen kann und nicht vor ihr zurückschreckt aus dem Gefühl eigener Hilflosigkeit heraus. Jemand, der vor der Wucht der Verzweiflung des anderen nicht flieht. Wir brauchen jemanden, der uns aktiv hilft, indem er uns Denk- und Handlungsalternativen anbietet, die uns zu einer neuen existentiellen Einstellung verhelfen. Wir brauchen eine neue Sinngebung. Diese beginnt mit der Bereitschaft unsere Gewordenheit, mit allem, was uns ausmacht, anzuerkennen, mit dem was, war Frieden zu machen, Verantwortung für unseren bisherigen Lebensweg zu übernehmen und daraus die Konsequenzen für unseren weiteren Lebensweg zu ziehen. 
 
Wenn es uns gelingt die Vergangenheit anzuerkennen und, ganz gleich wie sie war, produktiv auf unsere Gegenwart zu beziehen, können wir lernen, angemessen mit der Gegenwart umzugehen und zuversichtlich in die Zukunft zu blicken. Dann sehen wir wieder Möglichkeiten, die uns aus der Verzweiflung auferstehen lassen wie Phönix aus der Asche. 
 
Trotz ihrer überwältigenden Natur ist Verzweiflung in den meisten Fällen kein dauerhaftes Gefühl. Alle Wege um sie zu überwinden zielen darauf ab, negative Denkmuster zu erkennen und zu verändern, um wieder Hoffnung und Handlungsfähigkeit zu entwickeln, auch wenn es schwer ist.
Hoffnung bedeutet hier: Die Möglichkeit zu akzeptieren, dass sich die Situation verändern kann.
Verzweiflung ist eine menschliche Erfahrung, die tief in unserer psychischen Struktur verwurzelt ist. Sie ist immer ein Signal, dass eine Veränderung dringend notwendig ist. Sie bietet die Chance, durch professionelle Unterstützung und ehrliche Selbstreflexion neue Wege zu finden, um mit diesem bedrohlichen Affekt umzugehen.
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Donnerstag, 12. Juni 2025

Aus der Praxis: Scham

 



Starke Scham ist ein Dämon, dessen Existenz wir gerne verleugnen. Scham hat eine zerstörerische Macht. Scham kann uns wie eine Sucht beherrschen. Wer sich schämt, tut alles um dieses zerstörerische Gefühl zu unterdrücken, doch solange es unterdrückt wird, ist da Leugnen und Abwehr. Scham ist eine der zerstörerischen Kräfte in unserem Leben. Erst wenn wir die Scham benennen können, ohne sie zu verurteilen, verliert sie ihre Macht über uns.
Gesunde Scham ist kein schlechtes Gefühl, sie macht uns menschlich, sie zeigt uns unsere Grenzen, sie sagt uns, wo wir Acht geben müssen, um nicht über das Ziel hinauszuschießen. Sie bewahrt uns davor zu verletzen und zu zerstören. 
 
Starke Scham aber ist zerstörerisch. Sie zerstört unser Selbstbild und zeigt sich in Süchten, Pathologien, Zwängen, Angststörungen, Phobien und Neurosen. Sie kann zur Hoffnungslosigkeit führen und schwächt unsere Lebenskraft.
Scham erzeugt nicht nur das Gefühl in den Erdboden versinken zu wollen – Scham erzeugt auch Wut. Über das zu sprechen wofür man sich schämt, macht wütend, gerade weil man sich schämt. Das Gefühl der Scham, wird es nicht aufgelöst, führt zu einer chronischen Beschämung, und kann zu einer Art "Scham-Wut" führen. Diese Wut ist oft eine Abwehrreaktion auf das Gefühl der Ohnmacht und der Unzulänglichkeit, das mit der Scham verbunden ist. Scham kann auch zu chronischem innerem Stress und Kampf- oder Flucht-Reaktionen führen.
 
In der Scham verleugnen wir uns selbst, wir fühlen uns, als hätten wir unser Gesicht verloren. 
In der Scham fragmentiert sich unser Innerstes. Wir sind bedrückt von der Angst man könne uns entdecken und bloßstellen. Wir verstecken uns vor uns selbst und vor der Entdeckung anderer. Wer sich schämt führt oft ein Leben in seelischer Isolation.
Scham macht scheu - wir scheuen das Licht.
Wir möchten am liebsten in den Boden versinken, wir muten uns keinem zu, wir fürchten Nähe, weil wir fürchten entlarvt zu werden.
Wer unter starken Schamgefühlen leidet steht mit sich selbst im Konflikt und dadurch steht er mit der Welt in Konflikt. Scham ist wie ein eiserner Vorhang, der vom Leben trennt. Scham konfrontiert uns mit unseren vermeintlichen Mängeln, mit Gefühlen von Schuld, Schlechtsein, Fehlerhaftigkeit, Schmutzigsein und Wertlosigkeit. Scham suggeriert: „Du bist nicht liebenswert. Du bist schlecht und somit bist du auch schlecht für andere.“
Scham ist Gegenstand der Selbstverachtung.
Sie ist eine Qual, ein Leiden der Seele.
Scham führt zum Schämen aufgrund der Scham.
Scham führt dazu uns selbst nicht zu achten und zu vertrauen. 
 
Das Gefühl der Scham hat seine Ursachen oft in der Kindheit.
Scham wird internalisiert, wenn sich Bindungspersonen schamlos verhalten, auf welche Weise auch immer, und Kinder zu Zeugen dieses schamlosen Verhaltens werden. Sie übernehmen die Scham stellvertretend für die, die sie nicht empfinden. Scham wird internalisiert, wenn ein Kind gedemütigt, missbraucht, in seinem So-sein nicht geliebt und angenommen wird. Scham wird internalisiert, wenn einem Kind die Existenzberechtigung abgesprochen wird. Man raubt ihm die Menschenwürde.
Ein Kind, das gedemütigt oder missbraucht wird, verliert sein wahres Selbst. Es spaltet es ab. Damit hört es auf seelisch zu existieren. Es verliert seine vitale Lebensenergie, es entfremdet sich von sich selbst. Sich von sich selbst entfremden bedeutet, dass wir Teile unseres Selbst als fremd und nicht zu uns gehörig empfinden. Ein Teil in uns selbst wird zum Objekt der (Selbst)Verachtung. Wer sich selbst verachtet ist sich selbst nicht gut.
 
Starke Scham kann zu innerer Lähmung, zu innerem Rückzug und affektiver Passivität führen. Ein Leben, das von Scham beherrscht wird, gibt sich nicht die Erlaubnis frei zu sein, frei zu leben. Immer ist da das Gefühl nicht dazuzugehören. Immer ist man auf der Hut. Immer meint man, man ist den anderen lästig oder zu viel.
Der Psychoanalytiker Léon Wurmser schrieb einmal sinngemäß: Menschen sehen ihre Scham gleichsam „im Blick der tausend Augen“ der anderen. Der Blick der „tausend Augen“ ist für Menschen, die unter starker Scham leiden, bedeutsam. Sie leben ständig in der Angst herabgesetzt, herabgewürdigt, ausgegrenzt, gedemütigt und neu beschämt zu werden. Dies führt dazu, dass sie sich immer weiter in sich selbst zurückziehen. Sie bauen Mauern um sich, mauern sich ein in einer Welt, die ihnen Schutz verspricht. Doch dieser Schutz hat den Preis der emotionalen Isolation. Nicht selten führt unbewältigte Scham zur Sucht. Sucht hat immer auch mit einem gespaltenen Selbst zu tun und der Überzeugung ein Mensch zu sein, der mit Makeln behaftet ist und dem Gefühl dem Leben nicht gewachsen zu sein. In der Sucht liegt der Versuch das Gefühl des Schmerzes zu betäuben. Die Sucht und ihre Folgen führen wiederum zu neuer Scham. So erzeugt Scham immer wieder Scham.
Ein Teufelskreis.
 
Um krankhafte Scham zu überwinden bedarf es immer einer Veränderung des Selbstbildes.
Dazu gehört zunächst die Akzeptanz des Schamgefühls, auch wenn es weh tut.
Dazu gehört: Selbstmitgefühl entwickeln.
Dann heißt es, das Gefühl der Scham zu erforschen, es zu identifizieren und zu hinterfragen um sich von dem Gefühl zu disidentifizieren.
Was war der Auslöser?
Was oder wer hat mich derart beschämt?
Weiter geht es darum Bewältigungsstrategien zu entwickeln.
Im Tiefsten geht es darum die eigene Würde wieder zu erlangen.
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Mittwoch, 11. Juni 2025

Was wir fürchten, ist schon passiert und weil es passiert ist, darf es sich nie mehr wiederholen

 


Was wir fürchten, ist schon passiert und weil es passiert ist, darf es sich nie mehr wiederholen."Was wir fürchten, ist schon passiert" im Kontext von Traumatischen Erlebnissen drückt aus, dass das, was wir befürchten, bewusst oder unbewusst, längst eingetreten ist. „Die Vergangenheit belagert unsere Gegenwart“, schrieb Fritz Perls, der Vater der Gestaltherapie. "Sie belagert sie in der Weise, dass Handlungen, Aktivitäten und Situationen vermieden werden, die nur das Geringste mit dem, was in der Vergangenheit passiert ist, zu tun haben könnten. "
 
Die Tendenz Unangenehmes zu vermeiden, hat jeder von uns.
Es ist ein Abwehrmechanismus, um uns vor etwas zu schützen, was wir fürchten. Traumatisierte Menschen aber haben tief verinnerlicht, wenn ich dies und das tue, passiert das, was ich einmal erlebt habe oder getan habe, was dazu führte, dass mir Leid geschah oder dass ich anderen durch mein Verhalten Leid angetan habe, auch Letzteres kann traumatisch wirken. 
 
Ich hatte einmal einen Klienten, der als junger Mann mit achtzehn Jahren seine Familie verlassen hat, weil er den aggressiven, alkoholsüchtigen Vater und die Gewalt, die er ihm gegenüber ausübte hat, nicht mehr ertragen konnte. Er ging, als der Vater ihn im Rausch fast totgeschlagen hätte. Er ließ seine Mutter und die siebenjährige kleine Schwester zurück. Um sein eigenes Leben in Sicherheit zu bringen, verließ er die beiden. Das führte zu starken Schuldgefühlen, die er unterdrücken und abspalten musste um nicht daran zu zerbrechen. Im späteren Leben tat er alles um die Erwartungen anderer zu erfüllen und ignorierte seine eigenen Bedürfnisse vollkommen. Er blieb in einer Ehe in der er todunglücklich war, weil er nie wieder jemanden verlassen wollte. Er opferte sich für seine Familie auf, er stellte seine Bedürfnisse zurück indem er sich an die Wünsche, Bedürfnisse und Anforderungen anderer anpasste. Er gab sein Selbst völlig auf. Alles um die alten Gefühle von Schuld und Scham nicht fühlen zu müssen, derer er sich nicht einmal bewusst war, weil er sie zum damaligen Zeitpunkt abgespalten hatte. Nie mehr wollte er jemand im Stich lassen. Er vermied alles von dem er glaubte, es könne anderen schaden. Er verließ sich selbst. Er sperrte sich selbst in einen Käfig und lebte nur für andere. Als er die Diagnose Krebs bekam, kam er zu mir um seine Vergangenheit aufzuarbeiten.
 
Die Vermeidungsstrategie meines Klienten wurde zu seiner Überlebensstrategie um nie wieder die alten Gefühle von Schuld und Scham fühlen zu müssen, weil er, um sein eigenes Leben zu schützen, Mutter und Schwester alleine mit dem gewalttätigen, alkoholkranken Vater gelassen hatte. Er verhielt sich so, weil er unbewusst glaubte, dass der Preis für seine Schuld das Opfern all seiner Bedürfnisse, Rechte und Grenzen sei.
 
Was mein Klient vermeiden wollte, war längst passiert. Er hatte zwei geliebte Menschen verlassen.
Vermeidung und Spaltung sind Abwehrmechanismen, mittels derer wir belastende und schmerzhafte Gefühle, Erfahrungen, Erlebnisse, Erinnerungen, Gedanken und Bedürfnisse aus dem Bewusstsein verbannen. Es kommt zu einer Abschiebung ins Unterbewusstsein. Die Spaltung dient der Abwehr der unerträglichen Vorstellungen unseres eigenen Selbst oder von anderen. Es gibt nur noch gut oder böse, schwarz oder weiß und keine Mitte. 
Vermeidung ist eine Form der Abwehr um die Gefühle, die in der belastenden Situation als so bedrohlich und unaushaltbar empfunden wurden, dass sie abgespalten wurden, nie mehr fühlen zu müssen. Trotz der Abspaltung aber sind diese Gefühle da. Sie werden permanent unterdrückt oder kompensiert, unter anderen durch selbstschädigendes Verhalten, egal welcher Art. 
 
Die Vermeidung einer Situation, eines Ortes, von Handlungen, Gefühle, Gedanken oder sogar von Menschen hat große Auswirkungen auf den Menschen, der das tut. Er will alles vermeiden um nicht mit dem unverarbeiteten Erlebnis in Kontakt zu kommen und konfrontiert zu werden Dies führt dann zu allen möglichen seelischen Problemen und psychischen Störungen und im schlimmsten Falle zu schweren körperlichen Erkrankungen. 
 Vermeidung und Spaltung können bewusst oder unbewusst geschehen. Wenn wir Dinge im Leben vermeiden, weil sie uns an ein belastendes Erlebnis oder ein Trauma erinnern, ist es wichtig für unsere seelische und unsere körperliche Gesundheit, Hilfe zu suchen um das Belastende zu verarbeiten und es als Teil unserer Biografie zu akzeptieren und zu integrieren. Wenn alles verarbeitet und integriert ist, gibt es keinen Grund mehr zu vermeiden. 
 
Mein Klient darf lernen die Tatsache, dass er seine Familie verlassen hat, annehmen zu können, auch wenn sie schmerzt und diesen Schmerz endlich zuzulassen. Er darf lernen mit Ambivalenzen (emotional Unvereinbarem) umzugehen, die Spannungen und Ängste erzeugen können. Er darf lernen sich selbst zu verzeihen, indem er begreift, dass er zum damaligen Zeitpunkt nicht anders handeln konnte. 
 
„Schmerz ist dafür da, um uns aufzuwecken. Wir müssen Schmerz aushalten. Er ist wie ein Radius. Sie spüren seine Stärke, wenn sie Schmerz erfahren. Alles hängt davon ab, wie wir damit umgehen.“
Fritz Perls
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Montag, 9. Juni 2025

Inneres Wachstum und Trauer

 

Wenn wir mit der Arbeit an uns selbst beginnen und uns mehr und mehr über uns selbst bewusst werden, kann es sein, dass wir von einer tiefen Trauer erfasst werden.
Diese Trauer gehört dazu.
Wenn wir genesen setzen wir uns mit der Art und Weise auseinander, wie wir uns gefühlt und verhalten haben. Wir werden uns darüber bewusst, wie wir uns selbst und andere belogen haben, wie wir uns selbst verleugnet haben, wie lieblos und schlecht wir uns selbst behandelt haben, wie gefühllos und hart wir gegenüber uns selbst waren, wie verstrickt wir in alte Überlebensmuster waren und wie süchtig wir nach Dingen waren, die uns geschadet haben. Wir entwachsen toxischen Beziehungen, die nur aufgrund der früheren Version von uns selbst funktioniert haben. Wir trennen uns von vertrauten Menschen und Gewohnheiten, die unheilsam sind.
Das sind Verluste und jeder Verlust tut weh und macht traurig.
Das ist vollkommen normal.

Wir machen die Arbeit, wir wollen heilen und das bedeutet auch, dass wir uns von den selbstschädigenden und begrenzten Ausdrucksformen unserer selbst verabschieden müssen. 

Wir trauern darüber wie viele Jahre unseres Lebens wir an unserer Selbstverleugnung und unserer Angst wir selbst zu sein gelitten haben. Wir lassen Teile unseres früheren Ich los, wir lassen alte Identifikationen los, wir lassen das Bild los, das wir von uns hatten und anderen gezeigt haben, wir lassen Erwartungen, Überzeugungen und Glaubensmuster los, wir lassen all den Kram los, der uns klein und schwer gemacht hat.

Wir verlassen eine alte Identität.  

Das Loslassen von Aspekten unseres früheren Selbst bedeutet nicht nur destruktive Denk- und Verhaltensweisen aufzugeben, sondern auch Vertrautes loszulassen, mitsamt den Teilen unserer Identität, die uns einst Sicherheit, Halt und Trost schenkten, die wir aber hinter uns lassen müssen, um zu genesen und um zu wachsen, denn alles, was scheinbare Sicherheit und scheinbaren Halt bedeutete, war geboren aus den Überlebensstrategien unseres verletzten Inneren Kindes.
Es wusste es nicht besser, es konnte nicht anders.
Es wollte uns nicht schaden. Es war hilflos und verzweifelt.
Auch das kann das Gefühl tiefer Trauer in uns erwecken.
Und das ist gut so.

Inneres Wachstum ist immer mit Trauer verbunden. Trauer ist ein wichtiger Aspekt der Heilung.

Diese Trauer gilt es zuzulassen. In der Trauer fließen die Tränen, die wir vielleicht nie um uns selbst geweint haben, in ihr liegt Mitgefühl für uns selbst, das wir nie gefühlt und uns nie erlaubt haben und das wir jetzt zum ersten Mal spüren. Inneres Wachstum bringt immer eine Art Tod mit sich, Altes muss sterben um Platz für die Geburt des Neuen zu machen. Dazu gehört die Trauer.

"Es geht nicht darum, sich besser zu fühlen, sondern darum, besser zu fühlen."
Dr. Gabor Maté
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de








Samstag, 7. Juni 2025

Aus der Praxis: Selbsthilfestrategien gegen die Einsamkeit

 



Es ist verständlich, sich Sorgen über Einsamkeit zu machen, besonders wenn sie lange andauert und emotional sehr belastend ist. Es gibt Schritte und hilfreiche Strategien, die du anwenden kannst, um deine Situation zu verbessern und die Einsamkeit zu verringern.
Hier sind einige davon:
 
Anerkennen: Um deine Einsamkeit zu überwinden, ist der erste Schritt, die eigene Einsamkeit anzuerkennen. Dir bewusst einzugestehen, „Ich fühle mich einsam“, mag dir vielleicht wie ein persönliches Versagen erscheinen, ist es aber nicht, Einsamkeit kann jeden von uns treffen – kein Grund sich zu schämen. Scham konserviert die Einsamkeit – sie ist nicht hilfreich und nicht angemessen. 
 
Selbstreflexion: Überlege ob tiefere Ursachen, die in dir selbst liegen, deine Einsamkeit aufrechterhalten. Ich erinnere mich an eine Zeit in der ich nach einer tiefen zwischenmenschlichen Enttäuschung das Band zwischen mir und anderen durchtrennt habe und mich in meiner Trauer in eine selbstgewählte Einsamkeit zurückzog. Es dauerte, bis ich begriff, dass dies eine alte Überlebensstrategie aus meiner Kindheit war. Überlege also, was genau zu deiner Einsamkeit geführt hat. Finder heraus, was die inneren und/oder äußeren Auslöser waren? Reflektierte dein Denken und dein Verhalten in Bezug auf deine Mitmenschen. Überlege was in deinem Leben fehlt, welche Bedürfnisse brach liegen und was du dir wirklich wünscht. All das kann helfen, gezielt nach Wegen der Veränderung zu suchen. In der Einsamkeit liegt immer die Chance, dich selbst besser kennenzulernen, mit dir selbst Freundschaft zu schließen, Selbstmitgefühl zu entwickeln und dich wieder zu öffnen. 
 
Achtsamkeit und Selbstfürsorge: Kümmere dich gut um dich selbst. Achte auf eine gesunde Ernährung, achte darauf, welche Nahrung du zu dir nimmst, iss bewusst und nicht nebenbei, im Stehen oder Gehen, sorge für deine Körperpflege und ausreichend Bewegung, am Besten in der Natur. Nähre deinen Geist und deine Seele mit schönen Dingen. Auch Achtsamkeitspraktiken wie z.B. Meditation, Yoga oder Qi Gong, können dein Wohlbefinden steigern und dir helfen, besser mit Einsamkeit umzugehen.
 
Tagesstruktur: Struktur ist hilfreich um einen Rahmen im Alltag zu schaffen. Struktur führt zu mehr Halt, reduziert Stress und führt zu einem Gefühl von Sicherheit und Orientierung. Eine Tagesstruktur gibt dir das Gefühl dein Leben besser im Griff zu haben und hilft gegen das Gefühl von Kontrollverlust. Überlege dir feste Ankerpunkte. Das kann ein täglicher Spaziergang sein, Mahlzeiten zu einer bestimmten Zeit oder ein Telefonat mit einem vertrauten Menschen am Abend. Wenn du spürst, was dir guttut, mach es zu einem festen Bestanteil deines Tages. 
 
Hobbies und Interessen: Finde Dinge und Tätigkeiten, die dir Freude machen und dich wirklich interessieren. Was hast du als Kind am Liebsten gespielt, wenn du alleine warst? Erinnere dich daran, wenn du nicht weißt, was dir Freude macht. Wenn du tust, was du liebst, fühlst du dich mit dem, was du tust, verbunden, du gehst in Resonanz, das reduziert das Gefühl von Einsamkeit.
Für Selbstliebe und Selbstachtung können wir selbst sorgen, indem wir uns selbst, durch unser Tun, Gutes tun. Und manchmal empfinden wir dabei sogar Augenblicksglück. Die schönste Schwester der Einsamkeit ist die Freiheit und die beginnt damit, dass wir frei entscheiden können, was wir tun wollen. 
 
Journaling: Schreib es dir von der Seele. Schreiben hat eine entlastende Wirkung. Du wendest dich bewusst dir selbst zu und lernst dich nach und nach besser kennen. Du lernst die Verbindung zwischen deinen Verhaltensmustern und deinen Gefühlen nachzuvollziehen und zu verstehen. Du wirst dir deiner Bedürfnisse bewusst.
Journaling hat für mich nicht nur eine klärende, sondern auch eine kathartische Wirkung. Alles was mich belastet, schreibe ich raus. Wie die Schriftstellerin Elfriede Jelinek einmal über das Schreiben sagte: "Es ist, als ob man ständig kotzen müsste. Man will gar nicht, aber man muss.“ Krass ausgedrückt, aber für mich trifft es zu. Das Beste am Tagebuchschreiben ist, dass du deine Gefühle und Gedanken, indem du sie aufschreibst, aus der Beobachterperspektive betrachten und so neu ordnen kannst. Journaling ist zudem hilfreich um zu erkennen, was nicht gut für dich ist - und dich auf das zu fokussieren, was gut und heilsam ist und dich wachsen lässt. Und letztlich hilft es, sich selbst besser aushalten zu können.
 
Ein schönes Umfeld: Unsere eigene Umgebung hat einen großen Einfluss auf uns. Eine behagliche Wohnung kann zum selbstgebauten Käfig werden, wenn wir uns nur noch in sie zurückziehen, aber sie kann auch das Gefühl der Einsamkeit etwas lindern. Eine ansprechende Umgebung ist dein Rückzugsort, den du dir schön machst und liebevoll pflegst. Das kann dein Wohlbefinden steigern und ein Gefühl von Geborgenheit vermitteln, was besonders in schwierigen Momenten hilfreich sein kann. Die persönliche Umgebung schön machen heißt auch – Kreativer Selbstausdruck und Wertschätzung deiner selbst. Ich finde Schönheit tröstlich. Ich liebe es schöne Dinge um mich herum zu haben, z.B. immer einen frischen Blumenstrauß auf dem Schreibtisch. Oft sind es die keinen Dinge, die uns trösten und erfreuen können – unterschätze das nicht. Eine schöne Umgebung hilft um die Einsamkeit nicht immer an die Gefühlswand zu malen. 
 
Get connectet: Und dazu musst du nach draußen gehen. Besser ist es rauszugehen, als dich selbst zu isolieren, denn je länger du das tust, desto schwerer wird es, das wieder zu ändern. Wer sich selbst isoliert landet irgendwann in einem selbstbetonierten Verlies. Rausgehen ist immer gesünder als sich einzuigeln, auch wenn nichts Besonderes dabei rauskommt. Suche aktiv nach Möglichkeiten mit Menschen in Kontakt zu gehen. Das können Cafébesuche, Ausstellungen, Kino- und Theaterbesuche, Konzerte, Kurse oder Gemeinschaftsveranstaltungen in deiner Stadt sein. Manchmal reicht schon ein kleines Gespräch, eine kurze Begegnung, um wieder ein Gefühl von Verbindung zu spüren.
Wenn du trotzdem keine Kontakte machst – es ist okay! Du warst proaktiv, du hast dich überwunden und das ist ein Grund, dich selbst zu loben. Mach einfach weiter damit.
Slow and steady wins the race!
 
Social Media: Die sozialen Medien geben uns das illusionistische Gefühl miteinander verbunden zu sein. Herzchen und Likes geben uns das Gefühl gesehen und wertgeschätzt zu werden, aber sobald wir den Rechner runterfahren fühlen wir: Irrtum, wir sind allein. Die Einsamkeit hat uns wieder. Die digitale Welt ist Trostfutter für den Hunger nach Verbundenheit, satt macht sie nicht. Zu häufiges und zu langes Herumscrollen verstärkt sogar die Einsamkeit. Wir sehen lauter scheinbar glückliche Menschen in ihrem scheinbar glücklichen Leben und fühlen uns wie der letzte Mensch, der das alles nicht hat und zu allem Übel denken wir vielleicht: „Mit mir stimmt was nicht, ich muss doch was grundlegend falsch machen.“ Solche Gedanken verstärken das Gefühl nicht dazuzugehören und lediglich eine Randfigur zu sein, die das bunte Treiben nur beobachtet und ausgeschlossen ist. Das verstärkt das Gefühl verlassen und verloren zu sein, dabei sind wir nur verloren in den illusionistischen Welten von Social Media, die mit der Realität der meisten Menschen, nicht viel zu tun hat. Öfter mal den Rechner und das Handy ausschalten und dafür ein gutes Buch lesen, ist heilsamer als das angeschlagene Selbstwertgefühl mit sinnlosem Kram nähren.
 
Lesen: Lesen hilft gegen die Einsamkeit. Das ist meine Erfahrung. Man ist allein und doch nicht. Man darf beim Lesen sogar allein sein, um das Gelesene wirklich zu erfassen und zu verinnerlichen. Bücher helfen gegen die Einsamkeit, weil sie uns mit den Geschichten der Figuren, den Gedanken des Autors , den Worten und der Sprache verbinden. Wir gleiten in andere Welten, in fremde oder in vertraute, wir erfahren dabei - wir sind nicht allein mit unseren Geschichten, Gedanken und Gefühlen oder unserem Kummer. Es ist tröstlich, dieses Gefühl – du bist nicht allein mit deinen Ängsten, deiner Sehnsucht und deiner Einsamkeit. Zudem ist es motivierend zu erfahren wie andere Menschen mit dem umgehen, was das Leben ihnen an Herausforderungen vor die Füße wirft. Besonders Biografien können unterstützend wirken und uns Impulse geben, um unser Leben anders zu sehen und neu zu gestalten. 
 
Vermeidung von negativen Einflüssen: Halte dich von Menschen und Situationen fern, die deine Einsamkeitsgfühle verstärken. Das schließt toxische Beziehungen und selbstschädigene Gewohnheiten ein. 
 
Ehrenamt: Engagiere dich ehrenamtlich. Das hilft nicht nur anderen, sondern kann erfüllend sein und dazu führen, dass du Menschen findest, die ähnlich ticken wie du. Es tut gut anderen zu helfen, denen es nicht gut geht. Es ist ein sinnvolles Tun, bei dem wir noch dazu unsere eigenen Sorgen und Probleme relaltivieren können.
Online-Communities: Suche nach Menschen in sozialen Netzwerken oder Foren, die sich mit deinen Interessen und Leidenschaften beschäftigen. Das kann eine Möglichkeit sein, Gleichgesinnte zu finden.
 
Therapie und/oder Selbsthilfegruppen: Es ist immer hilfreich über deine Gefühle zu sprechen, mit einem Coach, einem Therapeuten oder in einer Selbsthilfegruppe. Dort findest du Menschen, denen es ähnlich geht wie dir. Das schafft Verbundenheit.
Veränderungen im Umfeld: Wenn du dich in deinem Umfeld nicht wohl fühlst und es dir leisten kannst, könnest du überlegen, ob ein Umzug in eine andere Stadt oder ein Jobwechsel einen neuen sozialen Kreis ermöglichen könnte, der besser zu dir passt als zum Beispiel die spießige Stadt, in der du gerade lebst oder der ungeliebte Job, der dich ausbrennt. 
 
Kleine Ziele setzen: Anstatt zu versuchen, dein gesamtes soziales Leben auf einmal zu ändern, setze dir kleine, erreichbare Ziele. Zum Beispiel könntest du dir vornehmen, einmal pro Woche einen neuen Ort aufzusuchen oder einen Menschen anzusprechen, den du vom Sehen kennst.
 
Vertrautheit schaffen: Manchmal kann es helfen, regelmäßig zu denselben Orten zu gehen, um eine vertraute Umgebung aufzubauen. Ob in einem Café, einer Bibliothek oder einem Park - durch wiederholte Besuche erkennen und gewöhnen sich Menschen aneinander und überwinden leichter die Barriere um sich einander zuzuwenden.
 
Einsamkeit ist eine Herausforderung, die immer mehr Menschen betrifft. Es gibt Möglichkeiten sie zu überwinden, wenn wir dazu bereit sind. Es lohnt sich proaktiv zu werden und gezielt nach Möglichkeiten zur Veränderung zu suchen.
 
Und was, wenn das alles nicht funktioniert?
Es kann frustrierend sein, wenn alle Strategien der Einsamkeit zu entkommen keinen Erfolg bringen. Wenn du das Gefühl hast, dass nichts hilft, such dir professionelle Hilfe. Wenn du es noch nicht getan hast, erwäge die Unterstützung eines Therapeuten oder eines Beraters. Diese Menschen können dir helfen, die tieferen Ursachen für deine Einsamkeit herauszufinden und individuelle Strategien zur Bewältigung zu entwickeln.
Manchmal kann Einsamkeit auch mit unbewältigter Trauer, einer tiefen Kränkung, einer unverarbeiteten Trennung, einem schweren Schicksalschag, einer Posttraumatischen Belastungsstörung, einer Depression, mit Ängsten, Zwängen oder einer Behinderung zusammenhängen. Achte auf diese Symptome und sprich offen darüber mit einem Arzt deines Vertrauens oder einem Therapeuten.
 
Notfallkontakte: Wenn du dich in manchen Momenten sehr einsam, isoliert oder verzweifelt fühlst, schäme dich nicht, einen Krisendienst oder eine Hotline zu kontaktieren. Dort sind Menschen, die geschult sind, um in schwierigen emotionalen Situationen zu helfen.
 
Es ist wichtig, geduldig mit dir selbst zu sein.
Veränderungen brauchen Zeit, und manchmal sind kleine Schritte entscheidend um Fortschritte zu machen. Mach dir bewusst, dass du nicht allein bist und dass es viele Unterstützungsressourcen gibt, wenn du sie suchst.
Sei mitfühlend und freundlich zu dir selbst in dieser schwierigen Phase. Es ist okay, sich einsam und verloren oder hilflos zu fühlen.
Vergiss niemals Selbstmitgefühl zu üben.
Sei freundlich zu dir selbst in dieser schwierigen Phase.
Akzeptiere, dass es Zeit und Geduld braucht, um Veränderungen herbeizuführen.
Es ist wichtig deine Gefühle ernst zu nehmen. Wenn es dir schwerfällt, alleine damit umzugehen, ist es ein Zeichen von Mut und Stärke, dir Hilfe zu suchen. Du verdienst es, gehört zu werden und Unterstützung zu erhalten.
 
Und, last but not least: Akzeptanz üben.
Manchmal ist es hilfreich, die Einsamkeit zu akzeptieren und anzuerkennen, dass sie Teil des Lebens ist und uns allen phasenweise immer wieder begegnet. Einsamkeit kann eine Zeit der Selbstentdeckung und es inneren Wachstums sein, in der du lernst, mit dir selbst in Einklang zu kommen. Und vielleicht lernst du sogar Einsamkeitsfähigkeit – die hohe Kunst mit der Einsamkeit Freundschaft zu schließen.
 
 
Zur besseren Lesbarkeit habe ich das generische Maskulinum verwendet. Die verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich auf alle Geschlechter.
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de