Mittwoch, 27. März 2024

Fealing is healing

 



Wir sind fühlende Wesen. Jeder Mensch hat ein ganzes Spektrum von Emotionen. 
Wir haben „gute“ Emotionen und „schlechte“ Emotionen. Mal fühlen wir uns gut und mal fühlen wir uns schlecht. Das ist normal. Es ist auch normal, dass unsere Emotionen und Stimmungen im Laufe eines Tages mehrmals wechseln. Wir stehen am Morgen auf und fühlen uns gut, dann passiert etwas Unangenehmes oder wir denken belastende Gedanken und wir fühlen uns schlecht. Wir machen in der Mittagspause einen Spaziergang oder ein guter Freund ruft an und wir fühlen uns besser.
Und ebenso gibt es in unser aller Leben Zeiten tiefer Krisen in denen unsere Gefühle Achterbahn oder Geisterbahn fahren. Es gibt Hochs und Tiefs in jedem Leben. Zeiten, in denen wir glücklich und zufrieden sind und Zeiten, in denen wir rotzunglücklich sind.
 
Die meisten Menschen wollen sich immer glücklich oder zumindest gut fühlen. Ist das nicht der Fall, geraten sie in Stress. Wenn sie sich schlecht fühlen, wollen sie es weghaben und das am besten sofort. „Ich will das nicht haben, ich will das nicht fühlen, ich will gute Gefühle!“ Sie versuchen mit aller Macht aus ihren unguten Gefühlen auszusteigen. Und dann merken sie, dass es nicht geht. Gefühle haben die Eigenschaft zu wachsen, wenn wir sie nicht wahrhaben oder weghaben wollen. Gefühle brauchen Raum. Gefühle lassen sich nicht einfach abstellen, wenn wir das wollen. Sie haben ja eine Berechtigung da zu sein. Wenn uns Unheilsames widerfährt, fühlen wir uns schlecht. Das ist vollkommen normal. 
 
Heilung beginnt mit der Erlaubnis unsere Gefühle zuzulassen.
Ich habe schon lange begriffen, dass ich nicht versuchen muss meine Gefühle wegzumachen. Ich habe gelernt, alle Gefühle, auch die sogenannten „schlechten“, anzunehmen. Ich habe gelernt, auch die die Traurigkeit, den Schmerz und die Wut anzunehmen und meine Zeit dennoch sinnvoll und zu meinem Besten zu gestalten.
Ich atme mich in meine Gefühle hinein.
Ich bin traurig. Es ist okay. Ich bin wütend. Es ist okay. Ich fühle Schmerz. Es ist okay.
Wenn ich eine Zeit lang ruhig und bewusst atme, löst sich das Gefühl langsam auf. Es geht nicht ganz weg, aber es wird weniger stark. Ich leiste ja keinen Widerstand mehr, also muss es sich nicht aufbäumen. Es darf sich auflösen.
Mein Nervensystem beruhigt sich.
Dann frage ich mich: Was brauche ich jetzt, damit es mir besser geht?
Was auch immer ich dann in diesem Moment brauche, ich erfülle mir das oder ich mache das. Das muss nichts Großes sein, manchmal bereite ich mir einfach eine Tasse Matcha Tee zu und genieße seine schöne grüne Farbe und seinen herrlichen Geschmack sehr bewusst.
„Es ist okay, und „was kann ich jetzt für mich tun?“, gibt mir die Freiheit mich nicht von meinen Emotionen beherrschen zu lassen. Ich fühle mich vielleicht noch immer traurig, aber ich fühle mich nicht mehr hilflos, ohnmächtig und als Opfer der Umstände. Ich praktiziere Selbstregulation. Damit erfahre ich Selbstwirksamkeit und eine mitfühlende, wohlwollende innere Haltung der Fürsorge für mich selbst. 
 
Es geht nicht darum Emotionen wegzumachen, das funktioniert sowieso nicht, es geht allein darum angemessen mit unseren Emotionen umzugehen.
Es geht darum, zu erkennen, dass wir durch unsere geistige Ausrichtung die Wahl haben, was im Jetzt unheilsam ist, für uns besser zu machen.
Es geht darum zu praktizieren, um es umsetzen zu können.
Es geht um unsere Genesung.
Feeling is healing.
 
"Erst ist da ein Berg,
dann ist kein Berg mehr,
dann ist."
- Donovan

Mittwoch, 20. März 2024

Aus der Praxis: Schmerz

 

                                                     Mixed Media: Angelika Wende

 

„Etwas, dem wir uns nicht stellen, wir uns doch ausfindig machen.“  - John Trudell

Das gilt für alles, was wir verdrängen oder abwehren, vor dem wir davonlaufen oder es nicht haben wollen, auch für den Schmerz, dem wir uns nicht stellen, er wird uns doch ausfindig machen. Es gibt keinen Fluchtweg, egal was wir anstellen, um den Schmerz zu vermeiden. Wenn etwas weh tut, tut es weh. Und manches tut verdammt weh. Manches schmerzt so sehr, dass wir glauben, wir werden verrückt vor Schmerz. Anstatt mit sinnlosem Bemühen vor dem Schmerz wegzulaufen, nach Drogen oder Alkohol zu greifen, zu viel zu essen, zu viel zu kaufen, zu viel zu konsumieren, können wir anhalten und uns dem Schmerz zuwenden. Dazu müssen wir uns zunächst gewahr sein: Weglaufen ist ein Lösungsversuch, der nicht funktioniert. Und wo es keinen Fluchtweg gibt, können wir Freiheit finden.

Schmerz bedeutet zunächst nichts weiter als, ich bin lebendig, ich fühle, ich bin ein fühlender Mensch. Schmerz gehört zur Geburt, zum Leben und zum Sterben. Warum also meinen wir, dass Schmerz nicht sein darf, warum meinen wir, ihn nicht haben zu sollen?

Warum meinen wir, dass schmerzhafte Erfahrungen nicht in Ordnung sind oder, dass wir die Einzigen sind, die Schmerz fühlen und das Leben ungerecht und grausam zu uns ist? Warum suchen wir nach Schuldigen, warum klagen wir das Schicksal oder Gott an? Weil wir uns dem lebendig sein verweigern. Weil wir nur das Gute und das Glück haben wollen. Weil wir nicht begreifen wollen, dass Leben alles ist. Weil wir alles persönlich nehmen was archetypisch ist. Weil wir ignorant uns selbst und dem Leben gegenüber sind.

Vieles von dem was Menschen tun um dem Schmerz auszuweichen, entspringt dem sinnlosen Bemühen sich dem Leben wie es ist, zu verweigern

Sie glauben, dass da ein Fehler im System ist und dass Schmerz einer dieser Fehler ist. Um das System zu begreifen und es zu akzeptieren, müssen wir auch den Schmerz begreifen und akzeptieren. Wir müssen die Idee von richtig und falsch fallen lassen. Wenn wir das schaffen, besteht eine realistische Chance zu heilen.

Heilen bedeutet nicht alles ist perfekt und das Leben voller Glückseligkeit, heilen bedeutet: Setz dich hin zu deinen Schmerz und fühle deinen Schmerz. Mach deine Arbeit, die dir keiner abnehmen kann, weil es dein Job ist. Ein anderer kann dir die Hand halten, aber da durch musst du selbst. Heilen bedeutet, uns mit dem Leben in seiner Ganzheit vertraut machen, es zu leben, zu erfahren, es zu akzeptieren wie es ist, mit allem was uns widerfahren ist und widerfährt und einen Sinn darin zu finden und zu wachsen. Heilen bedeutet zuallerst anzunehmen was ist, auch den Schmerz.

„Wir können nichts ändern, solange wir es nicht akzeptieren.“

~ C. G. Jung

Heilen bedeutet, sich zu fragen: Worin liegt die Chance? Und nicht: Warum ich?

Wir irren, wenn wir glauben, dass Schmerz nicht sein darf, dass etwas falsch daran ist. Aus diesem Irrtum ergibt sich dann Leiden. Schmerz ist ein Signal, er weist immer auf etwas Existentielles hin. Folgen wir seinem Hinweis, lernen wir. Im Schmerz hilft es nicht den Versuch zu machen das Außen so zu verändern, dass es so ist wie wir das wollen. 

Viele Menschen versuchen zwanghaft den Schmerz zu betäuben. 

Jede Sucht ist eine Flucht vor dem Schmerz, der ihr zugrunde liegt. Der Süchtige versucht, wenn auch erfolglos, immer wieder den Schmerz zu betäuben, ihn auszuschalten und erreicht dabei das Gegenteil – der Schmerz wird immer größer, er muss immer öfter, immer mehr konsumieren. Das Konsumieren wird zur obersten Priorität. Es zerstört alles Lebendige, nur den Schmerz nicht.

Um den Schmerz zu bewältigen müssen wir ihn erst einmal einfach annehmen und mit dem Wegrennen und betäuben aufhören. Wir müssen ihn erkunden und erforschen. Herausfinden wie wir ihn beurteilen und wie wir auf ihn reagieren. Wir müssen alle Schmerzvermeidungsstrategien sein lassen und ihn da sein lassen, solange er da sein will, solange bis wir begriffen und verinnerlicht haben, was er uns zu sagen hat. Wir dürfen ihn durchleben und erfahren, dass wir ihn überleben. Nur wenn wir auf diese Weise durch den Schmerz durchgegangen sind, können wir einen Ort inneren Friedens erreichen. Das ist das Ende der Flucht - ein Einverstandensein mit dem, was war und ist und was nicht mehr sein muss, weil wir stärker, wahrhaftiger und weiser geworden sind.

 

„Ihr braucht nichts weiter zu tun, als aufrecht mitten im Schmerz zu stehen.“

Katagiri Roshi

 

 

 

 

Freitag, 15. März 2024

Aus der Praxis: Der Schatten der Eltern

                                                             Malerei: A.Wende
 

Selbstkenntnis erlangen bedeutet, sich durch die Prozesse der Selbsterkenntnis auszudifferenzieren, mit dem Ziel die eigene Einzigartigkeit zu finden und sie anzunehmen, was immer sie auch sein mag. Das Annehmen meiner selbst in meiner Besonderheit ist ein wichtiger Schritt um mich aus der Schleife von Selbstanklage, Selbstbeurteilung, Selbstabwertung und Selbstverurteilung heraus zu bewegen. Und immer wieder, ich kann es nicht oft genug betonen, spielt das Erkennen der Schatten bei diesem Prozess eine entscheidende Rolle.
Solange das Verdrängte, eben das, was ich nicht sehen will in mir selbst und meiner Biografie, nicht angeschaut und aufgelöst ist, werde ich mir meiner selbst nicht bewusst. Ich reife nicht, wenn ich mich vor den Schatten verstecke, aus Angst sie könnten mein Leben im Jetzt überschatten. Dabei tun sie es längst, nur dass ich es nicht bewusst wahrnehme. 
 
Zu den Schatten gehört auch der Elternschatten, den wir so gerne unangetastet lassen.
Gerade hier neigen wir dazu uns selbst zu blenden um uns die Illusionen nicht zu nehmen, wie die Eltern in unserem Wunschdenken waren, auch wenn wir in der hintersten Ecke unseres Bewusstseins wissen, dass unser Bild eben nur ein Bild von ihnen ist, ein Wunschbild bisweilen, das sich auflöst sobald wir nur ein wenig daran kratzen.
Aber was nützt uns ein Wunschbild, das der Realität unserer Erfahrung nicht entspricht?
Das Werden zu dem, der ich bin, bedeutet auch, mir klar darüber zu werden, wessen Kind ich bin. Es bedeutet, mir Klarheit darüber zu verschaffen, was meine Kindheit geprägt und was sie überschattet hat.
Wie kann sich ein Mensch selbst lieben, der sehr früh erfahren musste, dass er nicht liebenswert sei? Dass er besser anders wäre als er ist, dass er den Eltern eine Last war oder besser nicht geboren worden wäre? Er glaubt, dass er die wahre Ursache ihrer Ablehnung, ihrer Wut, ihrer Lieblosigkeit, ihrer Gewalt ist, was nicht stimmt. Er fühlt sich schuldig, er schämt sich, will besser werden, lieber werden, folgsamer, aber all das kann gar nicht gelingen, weil die Eltern das Unheilsame was sie selbst nicht verarbeitet haben, ihre Neurosen oder eigenen Traumata auf das Kind projizieren. 
 
„Wenn man einmal wirklich verstanden hat, hört man auf, auf die Liebe der Eltern zu warten. Man weiß dann, warum sie nicht möglich war noch ist. Erst dann erlaubt man sich, zu sehen, wie man als Kind behandelt wurde, und zu spüren, wie man darunter gelitten hat. Statt die Eltern wie bisher zu bemitleiden, zu verstehen und sich selber zu beschuldigen, fängt man an, dem misshandelten Kind beizustehen, das man einst war.“
Zitat: Alice Miller
 
Der Elternschatten ist solange ein mich unbewusst beeinflussender Teil, solange ich mich davor fürchte ihn ins Licht meiner Aufmerksamkeit zu holen. Und wenn ich spüre und erkenne, dass ich eine Illusion anschaue, dann ist es eine Illusion.
Sich die Eltern gut denken wollen, macht sie und mich nicht besser. Das gute Denken ist vielleicht ungefährlicher, weil es mich nicht mit Gefühlen von Schmerz und Wut konfrontiert, aber das ist Verdrängung, die nur den Sinn hat, mich selbst zu schützen und nicht die Eltern, wie man fälschlicherweise denken könnte. Denn wenn ich mich wage auch das Ungute, das Destruktive, das nicht Liebevolle, das Grausame der Eltern zu sehen, dann fühle ich Schuld, dann fühle ich Scham, weil ich sie als gutes Kind ja lieben und ehren soll.
 
Den Schatten der Eltern sehen heißt: ich differenziere und ich erwache. Ich erwache aus der infantilen Illusion des "alles ist gut, wenn ich ausschließlich das Gute sehen will".
 Indem ich erwache, werde ich wach für mich selbst und den Teil in mir, der mich geprägt, beeinflusst und geformt hat. Ich erkenne die Wut, die nicht die meine ist, ich erkenne die Trauer, die nicht die meine ist, ich erkenne die Angst, die nicht die meine ist, ich erkenne die Scham, die nicht die meine ist, ich sehe die Schuld, die nicht die meine ist, ich erkenne die Verzweiflung, die nicht die meine ist, ich erkenne die Unsicherheit, die nicht die meine ist und ich sehe den inneren Kampf, der nicht der meine ist und doch zu dem meinen geworden, solange ich mich nicht innerlich gereinigt habe, von dem, was nicht das meine ist.
Eltern formen ihre Kinder. Und die Wirkung ihrer eigenen Schatten wirkt auf ihre Kinder. Je massiver der Elternschatten, desto stärker die Gefahr, dass sich im Kind ein falsches Selbst bildet, denn als Kind entscheiden wir nicht, was wir in uns aufnehmen. Wir können nicht anders, wir saugen auf - alles, das Hell und das Dunkel derer, die uns nähren und erziehen. Es braucht mitunter ein Leben lang um herauszufinden wer bin ich und was der Schatten der Eltern, der mich beeinflusst in meinem Fühlen, meinem Denken und in meinen Handlungen, vor allem aber in meinem Selbstbild.
 
Es geht um Erinnern statt Erinnerungsleugnung.
Um der zu werden, der ich im Kern bin, muss ich hinschauen, (muss und nicht ein gesäuseltes darf). Ich muss es wagen zu demontieren, was ich für unanstastbar halte, um unter all den Fragmenten, die diese Demontierung nach sich zieht, die Teile zu erkennen, die nicht die meinen sind um mehr ich selbst zu werden. Differenzieren ist nötig um alle falschen Identifikationen aufzulösen. Das bedeutet Abgrenzung und Loslösung mit dem Ziel zu mehr Selbstbestimmung zu gelangen, zur eigenen Mitte hin zu balancieren um ein Mehr an Selbstbewusstsein, Selbstachtung und Autonomie zu erreichen. 
 
Das Werden zu dem, der ich bin, bedeutet nicht, ein Mensch zu sein, der keine Probleme mehr hat, es bedeutet ein Mensch zu sein, der sich mehr und mehr allen Teilen seiner Persönlichkeit bewusst wird. Und dazu gehört der Elternschatten, den wir introjiziert haben, ohne eine Wahl gehabt zu haben, dazu gehört ihn zu identifizieren um ihn dahin zurückzugeben, wo er hingehört: zu Mutter und Vater.
Wenn das gelingt, wenn wir fähig sind zu spüren und zuzulassen wie wir als Kind unter dem unheilsamen Verhalten der Eltern gelitten haben, verschwinden Verständnis und Entschuldigungen für die Eltern. Sie konnten nicht anders. Aber wir können anders.
Wir können uns der Wahrheit stellen, auch wenn sie schmerzt.
Dann erst sind wir fähig uns unserem Inneren Kind wirklich mitfühlend zuzuwenden und es aus dem Schatten der Vergangenheit ans Licht zu holen, damit es, damit wir lebendig werden. Wir werden zum Helfer dieses Kindes der ihm immer zur Seite steht, es vertritt und vor weiteren Verletzungen und Selbstverletzungen schützt. Wir beginnen diesem Kind in uns, das zu geben, wonach es sich zeitlebens sehnt: Liebe.

Sonntag, 10. März 2024

Soll und Haben - über die Dankbarkeit


                                                               Foto: Angelika Wende
 
 
Wenn es uns nicht gut geht und wir in einer schwierigen Situation stecken, kommen wir nicht unbedingt auf die Idee dankbar zu sein. In Zeiten der Trauer und des Schmerzes können wir wenig sehen wofür wir dankbar sein dürfen. Und wenn wir es sehen, können wir es nicht fühlen, weil die schweren Gefühle so viel Macht haben, dass sie den Blick auf das, was auch ist, verstellen.
Die Mehrzahl der Menschen schaut viel mehr auf das was fehlt, was sie verloren haben oder noch nicht haben.
Tun wir das, identifizieren wir uns mit Mangel.
Je größer das Gefühl von Mangel, desto unzufriedener und unglücklicher werden wir. Das Geheimnis zufriedener Menschen ist, dass sie dankbar sind für das, was sie haben
Richten wir den Fokus auf die Soll Seite und nicht auf die Haben Seite übersehen, was wir haben, weil das, was wir nicht haben, im Übergewicht ist.
Da fällt Dankbarkeit schwer.
Aber nehmen wir uns einen Moment und denken nach. Machen wir eine Soll- und Haben Liste. Am besten schriftlich. Vielleicht erkennen wir dann, was da alles an Fülle in unserem Leben ist. 
 
Dankbarkeit kann man praktizieren.
Dankbarkeit kann uns gerade in schweren Zeiten emotional entlasten. Wenn wir sehr genau hinsehen gibt es immer Gründe, um dankbar zu sein. Dazu müssen wir allerdings hinsehen wollen.
Dankbarkeit stellt sich nicht von selbst ein.
Und vielleicht fühlen wir sie auch zunächst nicht, wenn wir praktizieren. Vielleicht spüren wir einen inneren Widerstand.
Das ist okay.
Wir machen weiter.
Mit der Bereitschaft Dankbarkeit zu praktizieren. Das ändert vieles. Mit der Zeit verändert sich unsere Wahrnehmung. Wir werden des Guten gewahr, das es in unserem Leben auch gibt, egal was gerade alles ungut ist.
 
Dankbarkeit verändert unseren Fokus.
Sie erinnert uns daran, was wir für selbstverständlich halten, als wertvoll zu erkennen, es anzuerkennen und es wertzuschätzen. Dankbarkeit ist der positive Gegenpol zu negativen Gefühlen, den wir selbst herstellen können. Wir wechseln die Perspektive. Wir sehen nicht nur eine Seite, wir sehen das Gesamtbild.
 
Die Energie fließt, wohin die Aufmerksamkeit geht.
Das, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, bestimmt unser Empfinden und unsere Erfahrungen. Wohin wir blicken, darauf haben wir Einfluss. Es darf fließen...
Die Praxis der Dankbarkeit führt zu mehr innerer Ruhe, Gelassenheit, seelischer Ausgeglichenheit, Zufriedenheit und Wohlbefinden. Dankbarkeit hilft dabei Sorgen und Grübeln zu verringern und verleiht uns das Gefühl von Selbstwirksamkeit. Sogar unser Glücksempfinden steigt. Wenn wir Dankbarkeit praktizieren spüren wir Verbundenheit mit dem Guten in unserem Leben. Wir empfinden Zuversicht, auch in schweren Zeiten. 
 
 
"People think the "path of least resistance" means "doing what is the easiest" but it's not. It’s learning to act upon "that which flows".
― Nausicca Twila

Freitag, 8. März 2024

Mädchen, ich sage dir, steht auf!


 
Der Selbstwert eines Menschen steigt in der Regel im Laufe des Lebens an. Bei Frauen ist dieses Gefühl für den eigenen Wert allerdings meist niedriger als bei Männern, das ergaben psychologische Studien. Viele Frauen reflektieren die Fragen: "Wer bin ich?" und "Was kann ich?" zu wenig. Sich selbst nicht bewusst wahrzunehmen, nicht zu wissen, wo die eigenen Stärken und Schwächen, die versteckten Potenziale und Fähigkeiten liegen, führt zu einem unausgereiften Selbstkonzept und in der Folge zu einem wenig positiv besetzten Selbstbild.
 
"In der Regel verbirgt sich hinter der prächtigen äußeren Fassade ein emotional verwahrlostes, verzweifeltes Kind, das nach Anerkennung seiner wahren Identität hungert. Die Entdeckung des "wahren" Selbst ist der Ausgangspunkt der Genesung und erfordert eine geduldige, behutsame Pflege des "inneren Kindes", schreibt die Psychologin Bärbel Wardetzki. 
 
In Gesprächen mit Frauen beobachte auch ich, dass kein oder nur sehr wenig stabiles Selbstwertgefühl vorhanden ist. Viele Frauen zeigen zwar nach Außen eine starke und selbstbewusste Fassade, dahinter versteckt sich jedoch ein unsicheres, verletztes und sich minderwertig fühlendes Mädchen.
Durch Perfektionismus, besondere Leistungen, einen hohen Anspruch an sich selbst und körperliche Attraktivität versuchen diese Frauen einem Idealbild zu entsprechen, welches das Außen ihrer Meinung nach von ihnen erwartet. Über die Zeit hinweg bedeutet das eine unglaubliche Anstrengung. Diese vermeintlich starken Frauen sind durch Kritik und Zurückweisung sehr schnell zu verunsichern. Die Selbsteinschätzung kippt beim kleinsten Angriff unmittelbar von "ich bin stark“ in ein Gefühl von Minderwertigkeit und endet in der Überzeugung nicht wertvoll und nicht liebenswert zu sein. Ein Schwanken zwischen Höhen und Tiefen bestimmt so das Leben.
 
Die innere Balance ist ebenso fragil wie das äußere Bild, das mit zunehmendem Alter, unverwirklichten Träumen, Zielen und Enttäuschungen in Beziehungen zu bröckeln beginnt. Diesen Frauen gelingt es nur schwer oder kaum, sich über einen längeren Zeitraum gut und lebendig zu fühlen. Die Folgen dieser inneren Disbalance sind u.a. Ängste, Depressionen, Burn Out, Alkoholsucht oder Essstörungen wie Binge-Eating, Bulimie und Anorexie. Die Ursache ist in den meisten Fällen ein fragiles, falsches, in der Kindheit zerstörtes Selbst.
 
Es ist nicht neu, dass Frauen ihr Licht häufig unter den Scheffel stellen, während sich Männer eher überschätzen. Beide Einstellungen entfernen den Menschen von seiner inneren Realität. Trotz Emanzipation und finanzieller Unabhängigkeit gibt es noch heute intelligente, autonome, erfolgreiche Frauen, die sich dem Dominanzanspruch des Mannes unterwerfen, sobald sie eine Partnerschaft eingehen. Die Mutter, die meist zeitlebens abhängig war und vergeblich nach Anerkennung gedürstet hat, vermittelt und lebt vor: eine gute Frau soll dem Manne dienen. Dies und das Erfüllenwollen notwendig geglaubter erotischer Stimulanz für den Mann, fungieren unbewusst noch heute bei vielen Frauen als Gegenleistung für Versorgung und männlichen Schutz. Durch die verinnerlichten Glaubensätze des vom Patriarchat gewollten kollektiven Bildes von Weiblichkeit befinden sich das weibliche Selbstbewusstsein und die innere Autonomie der Frau in einer bedenklichen Schieflage. Gerade in der Begegnung mit dem Mann wird die vermeintlich starke Frau schwach. Hier leben archetypische Muster auf und führen ihr Eigenleben. Frauen spüren intuitiv, dass sich der Mann nur dann stark fühlen kann, wenn sie sich schwächer zeigen. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Die Erfahrung zeigt zudem, sobald Frauen selbstbewusst auftreten, gefährden sie das Selbstbewusstsein des Mannes. Sie greifen seine Überlegenheitsfantasien an, gelten als unweiblich, zickig, kompliziert, anstrengend oder streitlustig, haben "Haare auf den Zähnen".
 
Neben allen kollektiven Aspekten und Einflüssen auf das Frausein tragen mangelnde Anerkennung durch den Vater oder die Mutter zu einem weiblichen Selbstkonzept der Wertlosigkeit bei. Ganz zu schweigen von kindlichen Missbrauchserfahrungen, egal ob sexuell oder emotional. In Deutschland wird jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt; etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder durch ihren früheren Partner.
 
Missbrauch zerstört das Gefühl des eigenen Wertes, er ist die Vernichtung des ganzen Seins. Eine derart traumatische Erfahrung führt zu Schuldgefühlen, dem Gefühl "schlecht" und wertlos zu sein, zu Scham und Selbstverachtung. Missbrauch macht Frauen zum lebenslangen Opfer wenn er nicht verarbeitet wird. Diese Opferhaltung drückt sich vor allem in intimen Beziehungen aus und ist ein Nährboden für Probleme in der Partnerschaft. Einerseits ist da die Angst, als Mensch nicht in der eigenen Ganzheit geliebt zu werden, andererseits die Angst, wieder von einem geliebten Menschen benutzt, gedemütigt, verletzt oder verlassen zu werden, was paradoxerweise zum Klammern an den Partner führen kann. Eine Nähe, die sucht, was ihr eigentlich Angst macht.
 
Besonders Frauen, die sich mit ihrer Biografie nicht auseinandergesetzt haben und immer funktioniert haben, um den äußeren Schein zu wahren und ihre Rolle zu bedienen, suchen in einer Art Wiederholungszwang und der ungestillten kindlichen Sehnsucht nach Akzeptanz, Liebe und Verständnis immer wieder Partner nach dem Schlüssel-Schloss- Prinzip, die das Defizit eines gesunden Selbstwertgefühls noch verstärken. Eine destruktive traumatische Verbindung ist vorprogrammiert.
Für eine Genesung aber ist es entscheidend, gesunde Beziehungen zu erfahren und sich ein liebevolles, anerkennendes und unterstützendes Umfeld bewusst wählen zu können, das einen bestärkt, man selbst zu sein und es sein zu dürfen. Also auch schwach sein zu dürfen, vor sich selbst und anderen.
 
„Mädchen, ich sage dir steh auf!“
Viele Frauen haben sich jahrelang bereitwillig in den Dienst anderer gestellt. Dann kommt der alles verändernde Moment: Die Kinder sind aus dem Haus, die Ehe oder die Beziehung sind gescheitert, der Job langweilt oder belastet nur noch und der Blick auf die Zeit sagt: Mädchen deine Jahre sind begrenzt. Dann kann es sein, dass sie kommt: Die existentielle Sinnkrise.
Diese Frauen müssten eigentlich stolz auf sich sein, was sie bis in die 50iger Jahre ihres Lebens geleistet haben. Sie sind es aber nicht. Vielmehr fühlen sie sich nicht mehr gebraucht, leer, einsam und orientierungslos weil da niemand mehr ist für den sie da sein können. Sie haben nur noch sich selbst, sie fragen sich: Wer ist dieses Selbst? Und sie wissen nicht, wer sie wirklich sind und wie es weiter gehen soll. Sie wissen oft nicht einmal mehr was ihre Bedürfnisse, Wünsche und Visionen sind, weil sie immer auf andere fokussiert waren und sie umsorgt haben, und wenn sie es wissen, denken sie, dass diese sich nicht mehr erfüllen lassen. „Zu spät“, kommt dann oft und je öfter sie diesen Gedanken denken, desto fester sitzt er im Kopf und verstärkt sich. Sie fühlen sich verbraucht, müde, alt, nicht mehr attraktiv und begehrenswert, nicht liebenswert und uninteressant. Sie fühlen sich haltlos und unsicher und wissen nicht wohin mit sich. Sie haben auf einmal viel Zeit und keine Ahnung, wie sie sie gestalten sollen. Sie haben keinen Plan, wie es weitergehen soll. Die Angst vor der ungewissen Zukunft lähmt. „War das jetzt alles?", "Wofür stehe ich am Morgen auf?", fragen sie sich und tiefe Traurigkeit und Mutlosigkeit erfasst ihr Inneres.
Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel.
 
Ich kenne die Sorgen und Nöte dieser Frauen, denn viele von ihnen durfte und darf ich begleiten.
Was diese Frauen brauchen ist zunächst eine Inventur.
Einen Rückblick auf das, was sie alles geschafft haben, ein Anerkennen dessen, was sie vollbracht haben und Selbstwürdigung. Eine neue Sicht der Dinge und eine neue Bewertung dessen, was ihr Leben war – eine Kraft gebende. 
 
Es geht es darum, sich Klarheit zu verschaffen.
Dazu gehört auch zu schauen, was aufzuarbeiten ist, und es dann aufzuarbeiten. Dazu gehört: Auszusortieren, was nicht mehr hilfreich ist und zu behalten, was hilfreich und nützlich im Jetzt ist.
„Den Keller ausmisten“, nenne ich das.
Wenn das getan ist, wenn alles an hinderlichen Gedanken, lähmenden Überzeugungen, unheilsamer Realitäts- und Selbstbewertung, belastenden Erfahrungen, Traumata, Verletzungen und Enttäuschungen angeschaut, verarbeitet und integriert ist, geht es um Weichenstellung.
Es geht um eine Weichenstellung, die klar, wahrhaftig selbststärkend und befreiend ist, statt: „Ich sollte, ich müsste…"
 
Sollen und müssen war lang genug!
Wer bin ich wirklich? Was will ich nicht mehr? Was will ich? Wer und was dient mir zu meinem Besten und wer und was nicht? Was sind meine Werte? Was gibt mir Sinn? Wie will ich mein Leben gestalten, so dass es tiefer, lebendiger, freier und wesentlicher wird? Das sind nur einige Fragen, die neue sinngebende Weichen stellen.
In dem Buch von Anselm Grün mit dem Titel „Finde Deine Lebensspur“ gibt es die Geschichte der kleinen Esther, die ich meinen Klientinnen, die sich in oben beschriebener Lage befinden, gerne zum Lesen ans Herz lege.
 
Die Geschichte beginnt mit dem Entschluss der kleinen Esther, lieber zu sterben, als weiter in der Welt der Erwachsenen zu leben. Und damit beginnt ihre Heldinnenreise Richtung Freiheit, denn sie ist der Schatz, den sie sucht. Im Laufe der Reise lernt Esther trotz ihrer Angst zu handeln, sie lernt die Leere, den Schmerz und das Alleinsein anzunehmen. Je mehr Zeit vergeht, desto deutlicher und lauter hört sie ihre innere Stimme. Sie beginnt auf sie zu hören und die Kraft ihres Herzens wächst. Sie bewältigt alle Herausforderungen. Bis sie auf den Schwellenhüter trifft, der sich in jeder Heldenreise irgendwann zeigt um zu überprüfen, ob der Held oder die Heldin es wirklich ernst meinen. Er zeigt sich in Gestalt eines Steines, auf dem die Inschrift steht:
„Ich lebe – und ich liebe dich, so wie du bist!“
Esther erstarrt. Sollte das etwa der Schatz sein, den sie sucht, der ihr zu einem freien Leben verhilft?
Sie kann und will es nicht glauben.
Sie ist so enttäuscht, ihr Herz ist so voller Trauer, dass sie zusammenbricht. So viele Jahre war sie unterwegs, hat alle Gefahren überwunden, der Angst getrotzt, der Einsamkeit. Leere und Sehnsucht ausgehalten und jetzt das?
Nur ein Stein mit der Inschrift: „Ich lebe - und ich liebe dich, so wie du bist.
Esther resigniert. Sie ist bereit aufzugeben und zu sterben.
Plötzlich hört sie eine Stimme: „Mädchen, ich sage dir steh auf!“
Nein, sagt Esther: Warum? Wozu? Für wen?
Und die Stimme ruft ein zweites und ein drittes Mal: „Mädchen, ich sage dir steht auf!“
Und beim dritten Ruf kommt Esther eine Kraft entgegen, die sie bis in Innerste ihres Wesens führt. Dorthin, wo sie sich selbst als liebenswert erkennt.
Und Esther steht auf.
Und geht weiter …
 
Wer um seinen Selbstwert weiß, ist nicht auf die Bestätigung durch andere angewiesen. Er ist autonom und lebt seiner eigenen Wahrheit und seiner Werte entsprechend.
Der Weg zu einem gesunden Selbstwert ist tiefe Selbstreflexion. Ziel des Weges ist Selbstkenntnis, Eigenverantwortung zu übernehmen und sich damit aus der Opferrolle heraus zu bewegen. Dazu gilt es die Ursachen für das mangelnde Selbstwertgefühl zu erforschen und zu analysieren. Dabei ist es hilfreich, sich selbst zu beobachten um Schritt für Schritt alte Verhaltensmuster und unheilsame innere Überzeugungen zu erkennen und zu verändern.
Der Weg zum eigenen Selbstbewusstsein hat immer auch einen philosophisch-spirituellen Aspekt. Es geht darum, sich seiner Selbst bewusst zu werden, sich selbst mit allen inneren Anteilen kennen zu lernen und sich anzunehmen, mit der eigenen Biografie, die uns zu der Frau macht, die wir sind. Es geht um Selbstakzeptanz, Identität und um Authentizität, was nichts anderes bedeutet als dass Denken, Fühlen und Handeln übereinstimmen. Es geht auch darum, die Maske abzulegen, dem Schmerz, der Angst und der Schwäche zu begegnen und mitfühlend anzunehmen. Es geht darum ja zu sich selbst zu sagen. Es geht um das Spüren der eigenen Kraft und Würde. 
 
An dieser Stelle möchte ich alle Frauen ehren.
Möget Ihr Euch selbst wertschätzen.
Möget ihr gut zu Euch sein.
Möget Ihr Euch selbst die beste Freundin sein.
Möget Ihr Euch eurer Kraft und Stärke bewusst sein.
Möget Ihr leben und euch lieben so wie ihr seid.
Möget Ihr mutig aufbrechen zu Eurer Heldinnenreise. 
 
„Die beste Erde, um etwas zu säen und etwas Neues wachsen zu lassen, ist ganz unten. In diesem Sinne bedeutet es, den Nährboden zu erreichen, wenn wir am Boden liegen, auch wenn das sehr schmerzhaft ist.“
- Clarissa Pinkola Estés, Die Wolfsfrau

Freitag, 1. März 2024

Aus der Praxis: Selbstwirksamkeit

 



Selbstwirksamkeit was ist das?
Selbstwirksamkeit ist eine wertvolle psychologische Ressource. Geprägt wurde der Begriff in der sozial-kognitiven Handlungstheorie des amerikanischen Psychologen Albert Bandura. Selbstwirksamkeit bedeutet nach Bandura: Vertrauen in die eigene Tüchtigkeit. Heißt: Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Kompetenzen und inneren Ressourcen um Aufgaben wirksam bewältigen zu können. Das Gegenteil der Selbstwirksamkeit ist die erlernte Hilflosigkeit.
Selbstwirksame Menschen glauben an sich selbst. Sie haben die tief verankerte innere Überzeugung, Herausforderungen erfolgreich meistern zu können und ihre Ziele umsetzen und erreichen zu können. Sie können sich emotional gut selbst regulieren. Sie sind davon überzeugt, dass sie stets die Möglichkeit haben ihre Situation zu beeinflussen. Sie erwarten von sich selbst, wirksam zu sein und vertrauen darauf. 
 
Wir Menschen haben ein unterschiedlich stark ausgeprägtes Zutrauen in uns selbst. „Während Menschen mit hohem Tüchtigkeitsvertrauen auf zieldiskrepante Rückmeldungen gewöhnlich mit gesteigerten Leistungsbemühungen reagieren, verfallen Personen mit niedrigem Tüchtigkeitsvertrauen angesichts solcher Informationen dagegen leicht in Resignation und geben die Zielverfolgung auf.“ (Banduras)
Wem dieses Tüchtigkeitsvertrauen also fehlt, warum auch immer (Gründe und Ursachen gibt es viele), lässt es von Anfang an bleiben. Er macht keine Anstrengung sich den Herausforderungen, mit dem das Leben oder sein eigenes Inneres ihn konfrontiert, zu stellen. Er ist passiv, lässt die Dinge laufen, hofft auf Veränderung und Hilfe von außen, auf ein Wunder oder er tut nichts, fühlt sich hilflos (erlernte Hilflosigkeit) und ergibt sich, dem, was ist. Er ist nicht proaktiv. Wohingegen ein Mensch, der die Einstellung hat: „Egal, was ist, ich werde damit fertig“, ins Handeln kommt. 
 
Selbstwirksame Menschen haben, außer einem gesunden Selbst-Bewusstsein, eine hohe Ausdauer. Sie verfolgen ihre Ziele kontinuierlich, wissend, dass der Weg das Ziel ist. Sie vertrauen einfach darauf, dass sie es schaffen. Sie suchen nach Möglichkeiten und Lösungen, anstatt sich von der Angst es nicht zu schaffen, in Flucht oder Starre treiben zu lassen. 
 
Selbstbewusstsein, Selbstsicherheit und Selbstwirksamkeit – wo ist der Unterschied?
Selbstbewusstsein bezieht sich auf unser Selbstwertgefühl als Mensch. Selbstwirksamkeit ist konkret auf ganz bestimmte Aufgaben ausgerichtet. Wer selbstwirksam ist, ist also nicht unbedingt selbstsicherer als andere, auch er hat Zweifel, aber er lässt sich von Angst und Zweifel nicht die Zuversicht rauben. Er kennt seine Stärken und Schwächen, heißt: er hat Selbstkenntnis und weiß, dass auch Zweifel dazu gehören. Zweifel sind sogar wichtig, denn wer nicht zweifelt, der sucht nicht nach der Wahrheit - und damit meine ich unsere eigene innere Wahrheit. 
Übrigens: Selbstwirksamkeitsüberzeugung ist zum Teil auch angeboren. So zeigen Studien zur Vererbung von Selbstwirksamkeit tatsächlich deutliche angeborene Einflüsse. (Waaktaar und Torgersen, 2013). Zusammenhänge zeigen sich beispielsweise mit der Intelligenz und den Persönlichkeitsdimensionen Gewissenhaftigkeit, Extraversion und emotionale Stabilität. Aber auch wenn sie uns nicht in die Wiege gelegt wurde, können wir Selbstwirksamkeit erlernen und zwar sie indem wir im Laufe unseres Lebens aktiv Herausforderungen, Aufgaben und Situationen bewältigen. 
 
Wie kannst du deine Selbstwirksamkeit stärken?
 
Ziele
Sich Ziele setzen, die realistisch und in naher Zukunft erreichbar sind, sogenannte Nahziele.
Uns bewusst Selbstwirksamkeitserlebnisse zu erschaffen ist gar nicht so schwer. Es muss nichts Großes sein, schon kleine Erfolgserlebnisse sind hilfreich. Zum Beispiel jeden Tag für Ordnung in der Wohnung sorgen, täglich einen kleinen Spaziergang machen, regelmäßige gesunde Mahlzeiten essen, eine kleine Achtsamkeitsübung in den Tag integrieren, das kaputte Fahrrad reparieren, einen Kuchen backen, Tagebuch schreiben.
So banal das klingen mag, simple Rituale und Routinen, die wir in unseren Alltag integrieren, sind ein sehr wirksames Werkzeug um unsere Selbstwirksamkeitsüberzeugung zu steigern.
 
Routinen
Routinen sind sogenannte Schlüsselgewohnheiten, die auf andere Bereiche des Lebens eine positive Wirkung haben, nach dem Motto: „Wenn mir das gelingt, und ich bewusst wahrnehme, was mir alles gelingt, gelingt mir auch mehr.“
Wir werden selbstsicherer, weil wir sehen, erleben und fühlen, was wir alles können. Wir suchen und schätzen kleine Erfolge, wir erkennen sie an und reden sie nicht kleiner als sie sind.
Wenn wir z.B. in einer Lebenskrise trotzdem gut für uns sorgen, indem wir genug trinken, essen und für ausreichend Schlaf und Bewegung sorgen, wobei wir nicht alles immer auf einmal, und nicht jeden Tag alles perfekt machen müssen, aber eben kontinuierlich, so gut es geht, dann ist das nicht nur Selbstfürsorge - es bedeutet Selbstwirksamkeit leben.
Wir üben und praktizieren etwas, das durch und hin zu uns selbst wirkt - mit dem Ziel, dass es uns besser geht, wenn es uns nicht so gut geht.
 
Kompetenzen
Können stärkt Selbstwirksamkeit.
Wenn wir unsere Kompetenzen, unser Wissen und unsere Fähigkeiten kontinuierlich ausbauen, machen wir Erfolgserlebnisse wahrscheinlicher.
 
Resilienz
Selbstwirksame Menschen haben eine höhere Resilienz gegenüber schwierigen Situationen, Schicksalsschlägen und Krisen. Sie konzentrieren sich darauf, was sie selbst ändern können. Sie handeln. Menschen mit geringer Selbstwirksamkeit richten den Fokus stattdessen darauf, was andere für sie tun sollen.
 
Diziplin
Das Wort hört kaum jemand gern, und genau diese Diziplin hat mich in all meinen Schicksalschlägen und Krisen immer wieder gerettet. Wer Selbstwirksamkeit lernen will, braucht auch Disziplin. Und das bedeutet uns selbst Grenzen zu setzen. Die wichtigsten Grenzen, die wir setzen, sind die gegenüber uns selbst. Grenzen sind z.B die Werte nach denen wir leben, die Gewohnheiten, die wir pflegen, das Nein, das wir an bestimmten Punkten zu uns selbst sagen, wenn wir gewahr werden, dass wir uns selbst mit etwas - einer Gewohnheit, einer gedanklichen Überzeugung oder einem Verhalten - nachhaltig schaden. Selbstdisziplin ist immens hilfreich um das zu tun, von dem wir wissen, es ist gut für uns. Ohne Selbstdisziplin keine Willenskraft, keine Bereitschaft und kein Durchhaltevermögen. Viel einfacher ist es undiszipliniert zu sein, also das zu tun, und dem Bedürfnis nachzugeben was unmittelbar belohnend ist, langfristig aber schadet. Disziplin ist unmittelbar nicht belohnend, dafür aber langfristig.
"Slow and steady wins the race", wie ich immer sage. Das ist eine meiner tiefsten Überzeugungen. 
 
Selbstwirksamkeit kannst du trainieren wie einen Muskel. Je mehr du übst und praktizierst, desto stärker werden dein Vertrauen und der Glaube an dich selbst.
Du kannst das!
 
 
„Ich bin nicht das, was mir passiert ist. Ich bin das, was ich entscheide zu werden.“
-- C.G.Jung

Donnerstag, 29. Februar 2024

"Mut ist, wenn du mit der Angst tanzt."


                                                         


 
Jede große Veränderung, jede Trennung, jeder Verlust, jede neue Erfahrung, jede Lebenskrise ist eingebettet in Angst. Angst ist ein Gefühl, eine Energie, die uns vollkommen ausfüllen kann. Manchmal ist sie übermächtig. Manchmal können wir sie nicht greifen. Dann liegt sie irgendwo tief auf dem Grund unserer Seele, so dass wir sie nicht benennen und nicht identifizieren können. Manchmal fühlt sie sich an wie eine dicke Nebelwand, die sich in unserem Inneren aufbaut. Wir versuchen dagegen anzukämpfen. Wir wollen durch diese Wand hindurch, die uns von uns selbst und der Welt trennt und uns handlungsunfähig macht, aber wir schaffen es nicht – eben, weil sie uns von uns selbst trennt und wir kein Licht mehr sehen durch die Nebelschwaden die sich in uns auftürmen. Da ist keiner, der uns die Angst nehmen kann und das macht uns noch mehr Angst. Wir allein müssen die Antwort finden. 
 
Manchmal ist unsere Angst nicht die unsere.
Wir haben sie von jemand übernommen. Angst ist ansteckend. In diesem Fall dürfen wir uns befreien von dem, was nicht das unsere ist. Manchmal sind unsere Ängste Phantome, die wir im Kopf erschaffen, Relikte einer erinnerten gelebten Vergangenheit, die uns großen Schaden zugefügt hat. Manchmal sind unsere Ängste gewachsen, weil wir das Vertrauen in die Menschen gründlich verloren haben. Manchmal haben den Glauben an uns selbst verloren, weil wir immer wieder in ungesunden Beziehungen gelandet und geblieben sind, trotz besseren Wissens. Wir haben es mit der Angst zu tun, wenn Menschen, die wir lieben, sich selbst zerstören und wir uns über Jahre abarbeiten, um sie zu retten und diese Menschen machen trotzdem weiter mit dem, was sie zerstört und wir müssen hilflos dabei zusehen, was diese Menschen sich selbst antun und uns. Manchmal haben wir Angst weil wir ein Trauma erlebt haben. Manchmal haben wir Angst weil wir einsam sind und niemanden haben, mit dem wir uns verbunden fühlen. Manchmal haben wir Angst vor Krankheiten, vor Schicksalsschlägen und vor dem Unberechenbaren. Oder wir haben Angst vor dem Leben und vor dem Tod. Wir Menschen haben vor so vielem Angst. Angst gehört zum Menschsein.
 
Die Angst ist nicht unser Feind, den wir mit allen Mitteln bekämpfen müssen. 
Jede Angst will uns etwas vor Augen führen, etwas, dessen wir uns vielleicht nicht bewusst ist. Aus lauter Angst schrecken davor zurück ihr ins Gesicht zu blicken und eine Wahrheit zu erkennen, die uns vielleicht nicht in den Kram passt. Aber das Zurückschrecken macht die Angst größer. Wir stecken den Kopf in den Sand und trösten uns mit der Hoffnung, dass Gott oder die Zeit oder ein anderer uns unsere Angst nimmt und damit machen wir uns machtlos. Indem wir die Lösung unserer Ängste dem lieben Gott, der Zeit oder anderen überlassen sind wir in der Rolle des hilflos Erwartenden, der sich von der Hoffnung nährt und nicht die entsprechenden Maßnahmen ergreift, um die Dinge für sich selbst zu wandeln. Dabei geschieht nur eins - unsere Angst wächst und macht uns klein und kleiner, so klein, dass wir uns gefühlt innerlich auflösen, uns nichts mehr zutrauen, erschöpft und müde werden, lebensmüde gar, weil wir uns den Herausforderungen des Lebens nicht mehr gewachsen fühlen. 
 
"Angst essen Seele auf", heißt ein Film von Rainer Werner Fassbinder, und so ist es - Angst zerfrisst die Seele wie ein Gift. 
Also dürfen wir entgiften. Wir dürfen die Angst ausleiten wie die Gifte einer Sucht ausgeleitet werden, damit der Organismus genesen kann. Entgiften bedeutet: Wir beginnen offen zu sein für die eigenen Gefühle, wir erlauben uns alle Gefühle zu fühlen, auch das Gefühl der Angst. Das Angstgefühl sucht sich viele Schauplätze, wenn wir nicht in der Lage sind es als das zu erkennen, was es im Kern ist. Ein Beispiel: Wir haben ständig Angst um unsere Liebsten. Im Kern ist unsere Angst gar nicht die Angst um die anderen, sondern unsere eigene Angst verlassen zu werden. Es nicht um die anderen, sondern allein um uns selbst. Es geht um eine Grundangst, die wir in uns tragen, seit wir Kind sind, die sich fest macht am Verlassenwerden, weil wir damals verlassen wurden. Noch immer stecken wir fest in der alten Angst der schmerzhaften Vergangenheit, wir fühlen uns hilflos und ohnmächtig im Jetzt, weil wir damals keine Helfer hatten. Die meisten Menschen haben Angstgefühle in sich gespeichert und wir nehmen umso mehr Angst auf, je mehr wir bereits gespeichert haben, denn wir sind dann geradezu darauf konditioniert Angst zu fühlen. Wir gehen in Resonanz. Gleich und gleich gesellt sich gern und genauso gesellt sich Angst zur Angst. Die Folge ist, dass sie wächst, wenn wir ihr nicht Einhalt gebieten. Aber wie?
 
Wir finden von der Angst zu Mut und Stärke.
Dazu müssen wir aufhören sie zu ignorieren, sie zu verdrängen oder sie auf andere zu projizieren. Angst zu ignorieren ist genauso als würden wir das Unkraut im Garten ignorieren, es wächst und wächst, bis es alle Blumen und Bäume überwuchert. Genauso ist es mit der Angst. Wenn wir versuchen den Frieden in uns dadurch zu finden, dass wir unsere Angst verdrängen, laufen wir ins Unkraut und ersticken darin. Wenn wir aber den Mut haben uns den Urgrund unserer Angst bewusst zu machen, sie vor uns selbst zuzugeben und sie zu respektieren, finden wir am Ende zu mehr innerem Frieden.
Natürlich ist das kein Allheilmittel um die Angst endgültig zu besiegen, aber es ist der Anfang um zu begreifen, dass wir die Angst, die wir ignorieren, füttern. Wenn wir sie fühlen und uns mit ihr auseinandersetzen, wenn wir sie aussprechen, aufschreiben, mitteilen, ihr das wahre Gesicht geben, das sich hinter all ihren maskierten Erscheinungsformen verbirgt, wird sie klein und kleiner Wir wachsen, wenn wir das tun. Wir schleichen das Gift aus, das unser Leben zerstören kann und wir wissen dabei, ja, es wird dauern.
 
Jedes Angstgefühl fordert uns auf, einen bestimmten Bereich in unserem Leben und in unserem Inneren zu untersuchen. 
Indem wir die Angst und ihren Urgrund erfassen, gelangen wir zum Bewusstsein unserer inneren Wahrheit. Wenn wir dort angelangt sind, sind wir fähig zu handeln und den nächsten Schritt zu gehen, mutig, trotz unserer Angst und mit jedem mutigen Schritt wieder ein bisschen stärker als zuvor.
„Mut ist, wenn du mit der Angst tanzt, das was du nicht ganz kannst, trotzdem versuchst“, singt Alexa Feser in ihrem gleichnamigen Lied. Und so ist es.
Wir tanzen nicht in die Angst - wir tanzen mit der Angst.
Es hört nicht auf, wir werden immer Ängste haben, es gibt kein Mittel um sie endgültig auszurotten. Darum geht es auch nicht, denn etwas ausrotten, was eine Funktion in unserem System hat, ist nicht sinnvoll. Aber wir können lernen und unseren Ängsten zu stellen und einen angemessen Umgang mit ihr zu finden, damit sie die Seele nicht aufisst.
Wenn wir die Angst nicht verdrängen, haben wir eine gute Chance uns aus ihrer Macht zu befreien und wieder Vertrauen in unsere Kraft zu finden, immer und immer wieder.